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Kurzfassung: Aktualisierte Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) zur Rolle von Schulen und KiTas in der COVID-19 Pandemie

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Johannes Hübner, Arne Simon, Hans-Iko Huppertz, Walter Popp, Martin Exner, Peter Walger, Reinhard Berner


Kurzfassung 04.01.2021

Am 23. Dezember 2020 hat die Europäische Gesundheitsbehörde (ECDC) in Stockholm eine aktuelle und umfassende Datenanalyse der Rolle von Schulen und Kitas in der COVID-19-Pandemie veröffentlicht (European Centre for Disease Prevention and Control. COVID-19 in children and the role of school settings in transmission – first update. Stockholm; 2020).

Fünf Kernbotschaften resultieren aus diesem Report.

  1. Kinder erkranken selbst nur sehr selten schwer an COVID-19.
  2. Kinder jeden Alters sind grundsätzlich empfänglich für SARS-CoV-2 und können das Virus übertragen. Jüngere Kinder scheinen weniger anfällig für Infektionen zu sein; wenn sie infiziert sind, führt dies seltener zu einer Weitergabe der Infektion.
  3. Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen nehmen am Infektionsgeschehen teil, sind aber nach aktuellem Wissensstand (und Einschätzung von CDC und ECDC) selbst kein Treiber der Pandemie.
  4. Für Kinder sind Schulen und KiTas systemrelevant, denn sie treffen im Kern ihre sozialen und intellektuellen Grundbedürfnisse und bestimmen ihre Entwicklung; Schulen und KiTas spielen eine wesentliche Rolle bei der Aufdeckung medizinischer oder sozialer Probleme wie Vernachlässigung. Insofern bedürfen jedwede Einschränkungen, die Kindern fremdnützig auferlegt werden, einer wissenschaftlich konkret belegbaren Rechtfertigung.
  5. Schulschließungen können nur das letzte Mittel sein. Eine Reihe konkret benennbarer Interventionen sind verfügbar, die davor ergriffen und konsequent umgesetzt werden können, z.B. Etablierung von AHA+L Regeln, Masken etc. in den Schulen und auf den Schulwegen, strukturiertes Ausbruchsmanagement, Etablierung hygienebeauftragter Lehrer etc. (s.u.).

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) empfehlen den politischen Entscheidungsträgern mit Nachdruck, die Kernbot­schaften der ECDC als Richtschnur des Handelns auch in Deutschland heranzuziehen. Vorhandene Analysen bestätigen die von der ECDC beschriebenen Beobachtungen auch für unser Land; außerschulische Infektionsrisiken für Schüler überwiegen die innerschulischen Infektions­fälle, innerschulisch finden sich geringe Übertragungsraten (Heudorf et al. DÄB 21.12.2020), und insgesamt werden nur sehr geringe Infektionsraten bei aus anderen Indikationen (nicht COVID-19) statio­när aufgenommenen Kindern beobachtet; stationäre Aufnahmen von Kindern wegen COVID-19 selbst sind anhaltend seltene Ereignisse (DGPI-Register, www.dgpi.de)

Tatsächlich ist die momentane Debatte um die Rolle der Schulen und weiterer Gemeinschaftseinrichtungen durch erhebliche Defizite in wissenschaftlicher Datenanalyse und Datenbewertung gekennzeichnet.

Es fehlen strukturierte Ausbruchsanalysen, die unabdingbar sind, um die wesentlichen und pandemisch relevanten Schwachstellen in Schulen aufzudecken. Stattdessen überlagern vorbestehende Hygiene-Mängel, defizitäre Sanitäreinrichtungen, nicht oder schlecht belüftbare Schulräume oder weitere baulich-strukturelle Mängel die aktuelle Diskussion in irrationaler Weise.  Einzelfallberichte oder unzusammenhängende Infektionsfälle sowie Quarantänemaßnahmen werden mit Ausbrüchen gleichgesetzt. Ein einzelnes Clustergeschehen (Hamburger Morgenpost vom 14.9.2020), dessen Ursachen bislang nicht vollständig analysiert ist, wird medial nicht als Einzel­fall bewertet, sondern vielmehr verallgemeinernd als politisches Druckmittel benutzt, im Schulbe­trieb entgegen dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand einen Treiber der Pandemie zu sehen

Aufgrund der exponentiell ansteigenden Infektionszahlen ab November 2020 haben die DGKH und die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. in einer Gemeinsamen Stellungnahme vom 20.11.2020 betont, dass auch unter hohen SARS-CoV-2 Infektionszahlen Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche geöffnet bleiben können, wenn die Hygieneregeln (AHA+L) bei zusätzlichen betrieblich-organisatorischen Maßnahmen einge­halten werden. Die Implementierung der Hygienemaßnahmen hat sich trotz häufig nicht vollständiger Umsetzung als ein effektives Instrument des Infektionsschutzes an Kitas und Schulen bewährt. Die Maßnahmen müssen den Kindern ein angemessenes Lern- und soziales Umfeld bieten.

Die Bewertung aller entsprechenden Maßnahmen muss unter Anerkennung der Prämisse erfolgen, dass Schulen für Kinder nicht nur zur Erfüllung des Bildungsauftrags, sondern insbesondere für ihre soziale Entwicklung und nicht zuletzt auch zu ihrem Schutz durch die entstehende Sozialkontrolle systemrelevant sind. Für Maßnahmen wie Schulschließungen alleine aus fremdnützigen Gesichtspunkten müssen klare Belege gefordert werden, die zeigen, dass sie geeignet sind, definierte Ziele wie die Entlastung von Krankenhäusern oder Intensivstationen zu befördern. Die bisherigen Datenanalysen ergeben dafür keine Hinweise.

Die Analyse des Infektionsgeschehens im Umfeld von Kitas und Schulen weist allerdings auf eine Reihe von Möglichkeiten eines verbesserten Infektionsschutzes hin, ohne dabei zum letzten Mittel, der kompletten Schließung der Bildungseinrichtungen, greifen zu müssen.

Folgende ergänzenden Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Hygienekonzepte und zur Beseitigung möglicher Schwachstellen sind nötig und umsetzbar:

  • Implementierung eines strukturierten Ausbruchsmanagements unter Einbeziehung des örtlichen Gesundheitsamtes, der Schulleitung, des schulischen Hygienebeauftragten (siehe unten), weite­rer Personen aus der Elternschaft und ggfs. externer Experten aus Hygiene, virologischer Diag­nos­tik und Betriebsmedizin. Einberufung dieses Ausbruchs-Teams im Falle von Infektions­häufungen mit dem Ziel, Übertragungswege zu analysieren, Schwachstellen zu erkennen, Vor­schläge zur Abhilfe zu entwickeln, das Ausmaß von Quarantäneanordnungen zu bestimmen und gleichzeitige Testkonzepte zu gestalten.
  • Konsequente Einhaltung der Maskenpflicht aller Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts (https://dgpi.de/covid19-masken-stand-10-11-2020/) jenseits des Grundschulalters bei gleichzeitiger Maskenpflicht für Lehr- und Betreuungspersonal; dadurch können Quarantänemaßnahmen auf die unmittelbar benachbart sitzenden Schülerinnen und Schüler begrenzt werden. Wenn Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler ab 10 Jahre auch an ihrem Platz einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) oder Mund-Nasenbedeckungen (MNB) tragen, gelten sie nicht als Kontaktpersonen der Kategorie 1, wenn in ihrer Klasse ein Infektionsfall auftritt. Selbstverständlich benötigen die Kinder und Jugendlichen auch maskenfreie Zeiten, z.B. in der Pause außerhalb des Klassenraums oder während der Stoßlüftung.
  • MNS und MNB als ausreichende Schutzmaßnahme; die Implementierung einer Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken führt nicht zu einer Verbesserung des Infektionsschutzes[1] und kann nicht als Kriterium für oder gegen eine Quarantäneanordnung verwendet werden.
  • Etablierung von Konzepten für ScreeningTestungen auf SARS-CoV-2 zur Ausbruchsanalyse sowie zur besseren Surveillance in den einzelnen Einrichtungen, aber auch im regionalen Kontext.
  • Implementierung einer Hygienebeauftragten Person im Lehrerkollegium bzw. im Betreuungs­team mit Qualifizierung durch eine geeignete Fortbildung
  • Schaffung konstanter Personengruppen mit begrenzter Gruppenstärkedurch geeignete Konzentrierung von Klassenverbänden einschl. Hortbetreuung und Mensabetrieb.
  • Gesplitterter Präsenzunterricht im Wechsel zu Online-Angeboten für die Schulklassen ab 14 Jahre, mindestens aber ab 16 Jahre.
  • Ausweitung des Raumangebotes durch Nutzung nahgelegener ungenutzter Räum­lich­keiten zu Unterrichtszwecken. Hier sind kreative Konzepte einer intelligenten Nutzung zu ent­wickeln, durch die personalintensive Mehrfachbelastungen der Lehrerschaft ver­mieden werden können.
  • Einbeziehung der Schulwege, des öffentlichen Nahverkehrs und weiterer Verkehrsangebote in ein integriertes Hygienekonzept, durch das auch die Wege von und zur Schule sicherer werden.
  • Intensive Aufklärung der Lehrerschaft und des weiteren Betreuungspersonals über die Risiken von Ansteckungen im privaten Umfeld, dem größten Treiber in der momentanen 2. Welle, aber auch in Pausenzeiten (z.B. Lehrerzimmer). Nutzung des von der DGKH herausgegeben „Corona-Knigges“, der die Schutz­konzepte im privaten Umfeld verständlich und alltagstauglich formuliert.

In welchem Ausmaß mit dem Auftreten neuerer Virusmutanten in England und Südafrika die Gefahr einer höheren Übertragbarkeit des Virus entsteht und welche Konsequenzen daraus für den Kita- und Schulbetrieb gezogen werden müssen, kann aktuell noch nicht eingeschätzt werden. Anfänglich geäußerte Be­fürchtungen, dass diese Mutanten gehäuft bei Kindern und Jugendlichen auftreten, haben sich bisher nicht bestätigt. Berichte aus dem Südosten Englands und dem Großraum Londons ergeben keine Hinweise auf eine Zunahme stationärer Einweisungen von Kindern oder Jugendlichen. Es kann daher zum jetzigen Zeitpunkt unterstellt werden, dass die oben empfohlenen Maßnahmen auch gegen neue Virusvarianten wirksam sein werden.

Die in vielen Studien und Beobachtungen festgestellten massiven Beeinträchtigungen und Benach­teiligungen von Kindern und Jugendlichen im Rahmen eines Lockdowns sind bei politischen Entscheidungen zwingend zu be­rück­sichtigen. Bei der Vertretung von Partikularinteressen haben Kinder und Jugend­liche bekanntermaßen kaum eine Lobby, so dass es Aufgabe der Politik ist, ihre Rechte zu wahren und mit diesem Eintreten für die Kinder ihre Zukunft und damit die Zukunft des Landes zu sichern. Entsprechend sollen unter Abwägung verschiedener Interessen während der Bekämpfung der Pan­demie neben dem Funktionieren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens insbesondere das Offenhalten von Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche zu den Aspekten gehören, die bis zuletzt in ihrer systemrelevanten Funktion aufrechterhalten werden müssen.


  1. Fehlende Leckageprüfungen, fehlende arbeitsmedizinische Voruntersuchungen auf Toleranz des erschwerten Atmens bei dichtem Sitz, fehlende Bedarfsdeckung qualifizierter Atemschutzmasken im Medizinbetrieb und die Einschränkungen als Einmalartikel, Verpflichtung zu Tragepausen alle 75 Minuten und die fehlenden Möglichkeiten einer Wiederaufbereitung laufen in der Praxis darauf hinaus, dass es keine relevanten Unterschiede zu MNS und wahrscheinlich auch nicht wesentlich zu MNB geben wird.