Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI)

Gründung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI)

Pädiatrische Infektiologie in Deutschland bis 1990

Traditionell sind Kinderheilkunde und Infektiologie zwei eng miteinander verbundene Gebiete.  So lag im 18. Jahrhundert die Sterblichkeit der unter 2-jährigen Kinder noch bei 40% und Masern waren in den 1950er Jahren die vierthäufigste Todesursache bei Kindern. Von einer eigenständigen Pädiatrie kann man in Deutschland erst seit 1895 sprechen, als Otto Heubner als erster ordentlicher Professor für Pädiatrie an die Berliner Charité berufen wurde und dort die erste pädiatrische Klinik entstand.

In Deutschland erlangte die Kinderheilkunde mit der Entwicklung verschiedenster Schutzimpfungen und der Entdeckung der Antibiotika einen großen Aufschwung. Durch Maßnahmen wie verbesserte Hygiene, Pasteurisieren von Milch o.ä. konnte die Säuglingssterblichkeit und Erkrankungen im Kindsbett drastisch gesenkt werden. Während in der Erwachsenenmedizin die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) mit Wurzeln in München und Berlin gegründet wurde, gab es im geteilten Deutschland vor der Gründung der DGPI 1991eine lange Tradition pädiatrischer Infektiologie.

Pädiatrische Infektiologie in der DDR bis 1990

Die infektiologische Arbeitsgemeinschaft für Kinder der DDR wurde von H.W. Ocklitz (Berlin-Buch), H. Köditz (Magdeburg) und zuletzt von H. Scholz (Berlin-Buch) geleitet. Die offizielle Bezeichnung lautete: AG Pädiatrische Infektologie in der Gesellschaft für Pädiatrie der DDR. Die Zentren der pädiatrischen Infektiologie waren im Institut für Infektionskrankheiten im Kindesalter (IIK) im Städtischen Klinikum in Berlin-Buch (H. W. Ocklitz, H. Scholz, R. Noack, H. Padelt), in Berlin-Friedrichshain (B. Schneeweiss) und in den Universitäts-Kinderkliniken in Leipzig (W. Handrick, F.-B. Spencker) und Greifswald (S. Wiersbitzky) angesiedelt. Schneeweiss, Ocklitz und Mochmann (letzterer ebenfalls vom IIK in Berlin-Buch)  waren es auch, die das in der DDR weit verbreitete Infektologie-Taschenbuch herausgegeben hatten.  Das IIK bestand aus einer Klinik, der die zentrale Impfberatungsstelle der DDR angeschlossen war, und aus einer mikrobiologischen Abteilung, u. a. mit dem Referenzlabor für E. coli. Auch in der Universitätskinderklinik in Leipzig gab es eine mikrobiologische Abteilung für Kinder. Von diesen Zentren wurden zahlreiche praxisnahe Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Prophylaxe für die wichtigsten Infektionskrankheiten erarbeitet.  Wichtige prophylaktische Aufgaben wurden für das ganze Land organisiert, z. B. vom IIK das Masern-Eradikationsprogramm. So wirkten die Mitglieder der AG Pädiatrische Infektologie landesweit als Berater der Impfärzte und des ÖGD mit, um die Entscheidungen zu einer “Befreiung” von der Masernschutzimpfung so objektiv und wissenschaftlich fundiert wie möglich zu gestalten; eine dauerhafte Zurückstellung (“Befreiung”) von der Masernschutzimpfung war nur möglich, wenn auch das für diesen Impfbezirk zuständige Mitglied der AG Pädiatrische Infektologie dem Antrag des Impfarztes zugestimmt hatte. In Folge dieser Impfkampagne gelang es in relativ kurzer Zeit, eine über 98% Durchimpfungsrate zu erreichen; 1989 war somit die Zahl der auf dem gesamten Gebiet der DDR aufgetretenen Masernfälle auf eine niedrig-zweistellige Zahl gesunken – und sogenannte „Masern-Impfschäden“ waren überhaupt nicht aufgetreten!

Der persönliche Kontakt zu westdeutschen Kolleginnen und Kollegen war, von der Regierung gewollt, zunächst spärlich. Ökonomische Mängel und wohl auch politische Zwänge führten jedoch allmählich zu einer Änderung. Seit den 80er Jahren fanden nahezu jährlich infektiologische Symposien in Ost-Berlin mit Referenten aus der Bundesrepublik Deutschland statt. Außerdem durften drei Kinderinfektiologen (W. Handrick, H. Köditz, H. Scholz) Mitglied der European Society for Pediatric Infectious Diseases (ESPID) werden, wodurch die Kontakte weiter verbessert werden konnten. Zudem bestanden immer noch einige wenige Kontakte der älteren Pädiater beider deutscher Staaten, z. B. zwischen der Universitätskinderklinik in München und dem Institut für Infektionskrankheiten im Kindesalter. Walter Marget war u. a. Gastreferent in Berlin-Buch und ihm war zusammen mit H. W. Ocklitz auch die Mitgliedschaft der drei o. g. Pädiater in der ESPID zu verdanken. Aus diesen Kontakten zwischen Berlin und München sollte sich später die Gründung der DGPI ergeben.

Pädiatrische Infektiologie in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990

In der Bundesrepublik waren mehrere anerkannte pädiatrische Infektiologen tätig, die aber nur lose in der Kommission für Infektionskrankheiten der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde organisiert waren. Hierzu gehörten u. a. W. Marget, C. Sitzmann, H. Helwig, H. W. Kreth, M. Kienitz, C. Simon, K. Stehr, J. P. Guggenbichler, V. von Loewenich, H. Olbing, D. Adam, B. H. Belohradsky, F. Daschner und R. Roos. Diese pädiatrischen Infektiologen waren allerdings nicht in einer eigenen Fachgruppe oder gar Fachgesellschaft zusammengeschlossen. Zumeist bestritten sie jedoch die pädiatrisch-­infektiologischen Themen der Jahreskongresse der DGKJ (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin) mit ihren Forschungsergebnissen und waren damit unter anderem auch richtungsweisend für die infektiologischen Belange der Kinderärzte im klinischen und ambulanten Bereich. Parallel und unabhängig davon arbeitete in der Gesellschaft für Sozialpädiatrie unter Leitung von H. A. Stickl (München) eine kleine Gruppe von Fachleuten  an aktuellen Impfempfehlungen und war in der Öffentlichkeitswirksamkeit (mittels ihrer schnellen Publikationen in  Fachzeitschriften) damals der STIKO (damals noch ohne eigenes öffentlich zugängliches Publikations-Organ)  oft ein Stück voraus.

Besonders hervorzuheben ist das Engagement von Walter Marget (1920-2013), der neben vielen internationalen Kontakten auch immer Kontakt zu seinen pädiatrisch-infektiologischen Kollegen in der DDR aufnahm. Er war es auch, der die Europäische Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (www.espid.org) mitbegründete, und sich als Kongresspräsident dafür einsetzte, dass der erste ESPID-Kongress 1983 in Cambridge, England durchgeführt wurde, damit auch die ostdeutschen pädiatrischen Infektiologen teilnehmen konnten.

Pädiatrische Infektiologie in Deutschland nach der Wiedervereinigung 1990

Mit der „Wende“ bestand für die ostdeutschen Infektiologen die Aufgabe, sich neu zu orientieren. Eine Vereinigung der beiden Arbeitsgemeinschaften der DDR scheiterte am Veto der Erwachsenen-Infektiologen. Dagegen war die Anfrage von H. Scholz (Berlin-Buch) an D. Adam (München) mit dem Ziel  der Neuorientierung der Pädiatrischen Infektiologie erfolgreich. Beide vereinbarten in Berlin die Gründung einer eigenen Gesellschaft. Die Gründungstagung  fand am 30.5.1991 in München statt. Die 72 Teilnehmer einigten sich auf den Namen Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI). H. Scholz wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt. Die weiteren Mitglieder des Vorstandes waren K. Stehr (2. Vorsitzender), D. Adam (Schriftführer), R. Roos (Schatzmeister) sowie H. W. Kreth, S. Wiersbitzky und W. Handrick (Beiräte). Das Ziel der DGPI war laut Satzung die wissenschaftlichen und praktischen Belange der pädiatrischen Infektiologie in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern und das Wissen über erregerbedingte Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen zu erweitern und zu verbreiten. Vorgesehen waren jährliche Jahrestagungen, auf der Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht werden sollten, und auf der in Symposien die infektiologische Fortbildung für Ärzte im niedergelassenen und stationären Bereich erfolgen sollte. Die erste Jahrestagung fand vom 19. – 21.11.1992 in Erlangen unter der Leitung von K. Stehr statt.

Das DGPI Handbuch

Die Herausgabe des ersten DGPI Handbuches 1995

Der von mehreren westdeutschen Infektiologen vorgetragene Vorschlag, nach amerikanischen Vorbild („Red Book“) aktuelle Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Prophylaxe von wichtigen einheimischen Infektionskrankheiten einschließlich erregerbedingter Reisekrankheiten als DGPI Handbuch für Infektionen bei Kindern und Jugendliche zu erstellen, wurde von Anfang an umgesetzt. Die umfangreiche Thematik verlangte die Teilnahme von etwa 100 Pädiatern, Mikrobiologen und anderen Wissenschaftlern. Das Erscheinen der ersten Auflage des Handbuches 1995 ist der zielgerichteten Organisation des Herausgeber-Gremiums und dem hohen Engagement aller Autoren zu verdanken.  In Folge wurde das Handbuch als „Gelbes Buch“ schnell landesweit bekannt. Bereits nach 2 Jahren erschien die 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Die danach in regelmäßigen Abständen folgenden aktualisierten Auflagen machten das Handbuch in Deutschland zum anerkannten Standardbuch für die Diagnostik und Behandlung von Infektionen im Kindes- und Jugendalter.

Zusätzliche Schwerpunkte der Arbeit waren – ergänzende Maßnahmen zur Fortbildung von erregerbedingten Krankheiten, wie z.B. der 3-tägige, jährlich stattfindende  infektiologische Intensivkurs der DGPI, sowie zahlreiche Aktivitäten auf dem Gebiet von Schutzimpfungen. Einige Mitglieder wurden in den folgenden Jahren zu Vorsitzenden der STIKO berufen (B. Stück und H.-J. Schmitt). Die Zusammenarbeit mit der Paul-Ehrlich-Gesellschaft führte zu mehreren Empfehlungen über die Anwendung von Antibiotika bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (D. Adam, H. Scholz).

Rückblickend bleibt zu bemerken, dass durch die Wiedervereinigung Deutschlands die Chance genutzt wurde,  mit der Gründung der DGPI das große Ziel der bestmöglichen Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Infektionskrankheiten zu erreichen.

Der Artikel wurde federführend durch die Gründungsmitglieder H. Scholz und  D. Adam  erstellt, und durch weitere Gründungsmitglieder und den Vorstand der DGPI geringfügig überarbeitet (September 2015)

Geschichte des DGPI-Handbuchs

Als wichtigste Publikation der DGPI entstand 1995 als erstes deutschsprachiges Werk dieser Art das Handbuch zu Infektionen bei Kindern und Jugendlichen.

Nach der großen Akzeptanz des DGPI-Handbuches wurde bereits 1997 die überarbeitete und erweiterte 2. Auflage herausgegeben. Weitere Auflagen erschienen im Frühjahr des Jahres 2000 (3. Auflage),  Mitte 2003 (4. Auflage),  April 2009 (5. Auflage) und August 2013 (6. Auflage) herausgegeben. Die aktuelle 7. überarbeitete Auflage ist im September 2018 erschienen.

Pädiarisch-infektiologische Leitlinien

Im Auftrag der AG wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) verfasst die DGPI seit dem Frühjahr 1996 regelmäßig Leitlinien zu Themen der pädiatrischen Infektiologie, die regelmäßig überarbeitet und aktualisiert werden. Seit 1997 ist die DGPI Mitglied in der AWMF.

Historie der 1. Vorsitzenden der DGPI

  • Dozent Dr. Horst Scholz, Berlin 1991-1995
  • Prof. Dr. Dr. Dieter Adam, München 1995-1999
  • Prof. Dr. Werner Handrick, Leipzig 1999-2001
  • Prof. Dr. Horst Schroten, Düsseldorf 2001-2005
  • Prof. Dr. Reinhard Berner, Freiburg, 2005-2009
  • PD Dr. Roswitha Bruns, Greifswald, 2009-2013
  • Prof. Dr. Johannes Liese, Würzburg, 2013-2017
  • Prof. Dr. Johannes Hübner, München, 2017-2021
  • Prof. Dr. Tobias Tenenbaum, Mannheim/Berlin, seit 2021