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Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

Kinder in der COVID-19 Pandemie

Aktualisiert am 05.02.2021

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Peter Walger, Iko Huppertz, Johannes Hübner, Arne Simon, Martin Exner, Reinhard Berner


Zusammenfassung

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) haben in der Vergangenheit in mehreren Stellungnahmen die grundlegenden Erkenntnisse zur Rolle der Kindertagesstätten und Schulen in der COVID-19-Pandemie zusammengetragen und aktualisiert.

Die von DGKH und DGPI vertretenen Positionen stehen nahezu deckungsgleich im Einklang mit den Erklärungen der wichtigsten internationalen Institutionen wie WHO, ECDC und CDC (1, 2, 3).

  • Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen nehmen am SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen teil, sind aber selbst keine Treiber der Pandemie. Epidemiologisch folgen die Infektionen bei Kindern dem Infektionsgeschehen bei Erwachsenen, sie gehen ihm nicht voraus.
  • Die Kollateralschäden durch Schließung von Kitas und Schulen sind in der Vergangenheit in ihrer weitreichenden Dimension zu wenig berücksichtigt worden.
  • Schulen und KiTas sind für Kinder und Jugendliche systemrelevant. Jedwede Einschränkung der Grundrechte von Kindern und Jugendlichen, die ihnen fremdnützig auferlegt wird, bedarf einer strengen ethischen Abwägung und wissenschaftlich konkret belegbaren Rechtfertigung.
  • Die Effektivität von Kita- und Schulschließungen zur Senkung von mit SARS-CoV-2 assoziierten Todesfällen in den Risikogruppen der Alten und Pflegebedürftigen ist in der Literatur nicht belegbar.
  • Bezüglich der Neuen Virusvarianten (VOC) liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vorgeschlagenen Schutzkonzepte für Schule und KiTa grundlegend geändert werden müssen. Die AHA+L-Regeln gelten weiterhin uneingeschränkt und sind effektiv.
  • Die derzeit benutzte 7-Tage-Inzidenz der gemeldeten Neuinfektionszahlen ist als Steuerungsmechanismus untauglich. Ein neuer Index muss transparent und belastbar politische Entscheidungen begründen können; in diesen Index eingehen müssen Daten der Überlastung des Gesundheitssystems mit Nennung von Zahlen zur Hospitalisierung, Intensivbettenbelegung und zu Todesfällen.
  • Die Position des Deutschen Ethikrates (4), der die Rücknahme der die Freiheitsrechte einschränkenden Schutzmassnahmen an eben diese Parameter und nicht an die Zahl der Infektionsfälle (7-Tage-Inzidenz) einfordert, wird nachdrücklich unterstützt.

Aus den vorgetragenen Gründen muss der Erhalt des Betriebs von Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche die höchste Priorität haben und kann unter den beschriebenen Voraus-setzungen mit einem ausreichenden Maß an Sicherheit und Nachhaltigkeit umgesetzt werden.


Erläuterungen

Situationsbeschreibung

  • Kinder erkranken selbst nur selten schwer an COVID-19. Schwerste Erkrankungen oder sogar Tod sind eine Rarität.
  • Kinder jeden Alters sind grundsätzlich empfänglich für SARS-CoV-2 und können das Virus übertragen. Jüngere Kinder sind weniger anfällig für Infektionen sein; wenn sie infiziert sind, scheinen sie seltener zu einer Weitergabe der Infektion beizutragen als Erwachsene.
  • Infektionshäufungen an Schulen kommen vor, allerdings fehlen meist strukturierte Ausbruchsuntersuchungen. Woher die Infektionen kamen, ob die Übertragungen privat oder in der Schule stattfanden, wer wen in welchem konkreten Zusammentreffen angesteckt hat, ist oft unbekannt. In den untersuchten Fällen waren Lehrer oder Erzieher oft die Index-Personen, von denen die Übertragungen ausgegangen waren.
  • Schulen und KiTas sind für Kinder und Jugendliche systemrelevant, denn sie treffen im Kern ihre sozialen und intellektuellen Grundbedürfnisse und bestimmen entscheidend ihre psychosoziale Entwicklung; Schulen und KiTas spielen eine wesentliche Rolle bei der Aufdeckung medizinischer oder sozialer Probleme und tragen zur Prävention von Kindeswohlgefährdung bei. Jedwede Einschränkung der Grundrechte von Kindern und Jugendlichen, die ihnen fremdnützig auferlegt wird, bedarf einer strengen ethischen Abwägung und v.a. einer wissenschaftlich konkret belegbaren Rechtfertigung.
  • Die Kollateralschäden durch Schließung von Kitas und Schulen sind in der Vergangenheit in ihrer Dimension zu wenig berücksichtigt worden. Mittlerweile wird das gravierende Ausmaß der Schäden durch immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen belegt.
  • Schulschließungen können nur das letzte Mittel sein; eine Reihe konkret benennbarer Interventionen, die umgesetzt werden können, sind mehrfach ausführlich dargestellt worden.

Neue Virusvarianten (VOC)

  • Erhöhte Übertragbarkeit. England und Irland zeigen, dass sich die neuen Varianten zum dominanten Pandemieerreger in der jeweiligen Region entwickeln, obwohl gleichzeitig die Infektions-Fallzahlen gesenkt werden. Verantwortlich sind mutationsbedingte Veränderungen, die zu einer Senkung der minimalen Infektionsdosis führen, in deren Folge es zu einer erhöhten Übertragbarkeit des Virus kommt (5, 6).
  • Schwerer Verlauf und höhere Sterblichkeit fraglich. Nach aktueller Einschätzung der britischen Gesundheitsbehörden besteht lediglich „eine realistische Möglichkeit einer erhöhten Sterblichkeit durch VOC B.1.1.7.“, welche aber durch weitere Untersuchungen an höheren Fallzahlen belegt werden müsse.
  • Keine erhöhten Infektionsraten bei Kindern – keine differente Altersverteilung. Anfängliche Medienberichte über eine im Vergleich zu Erwachsenen erhöhte Ansteckungsgefahr oder Übertragbarkeit für Kinder haben sich nicht bestätigt
  • Gleiche Übertragungswege. Auch die neuen Virusvarianten sind Coronaviren mit identischen Eigenschaften, was die Übertragungswege, die Reservoire im menschlichen Nasen-Rachenraum, die geringe Umweltwiderstandsfähigkeit (Tenazität) und die auslösenden Krankheitsbilder anbelangt.
  • Wirksamkeit der Impfung für die britische Varianten (VOC) B.1.1.7. erhalten.
    Nach Angaben unabhängiger Institutionen und des Pharmazeutische Unternehmers (pU) Biontech-Pfizer bleibt die Wirksamkeit des Impfstoffes für die britische Variante B.1.1.7 erhalten. Das gilt auch für die neuen Impfstoffe der pU Johnson & Johnson sowie Novavax, die ihre Impfstoffe in England (Novavax) bzw. auch in Südafrika und Lateinamerika (J&J) getestet haben. Eine mögliche Verringerung des Immunschutzes durch eine mutationsbedingte Änderung der viralen Oberflächen (Spike-) Glykoproteine (sog. Antigen-Escape) wird für die brasilianischen und südafrikanischen Varianten
  • Konsequenzen für die aktuelle Diskussion um Kita- und Schulöffnungen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die etablierten Schutzkonzepte grundlegend geändert werden müssen. Die AHA+L-Regeln gelten weiterhin uneingeschränkt und sind effektiv. Es besteht allerdings die dringende Notwendigkeit, dass sämtliche Maßnahmen intensiver und konsequenter eingehalten werden müssen; nicht neue Konzepte, sondern die bereits etablierten und bewährten Maßnahmen müssen konsequenter angewendet und ergänzt werden durch eine gezielte Surveillance bei regional stark erhöhten Melderaten mittels wöchentlicher Pool- oder Selbsttestungen der Lehrer sowie die Testung kranker oder in Quarantäne befindlicher Kinder (z.B. Tag 5).

Steuerungsmechanismen

In der Öffentlichkeit wie in der Politik und Wissenschaft herrscht weitgehend Konsens, dass die benutzte 7-Tage-Inzidenz der gemeldeten Neuinfektionszahlen als Steuerungsmechanismus untauglich ist. Ein neuer Index muss transparent und belastbar politische Entscheidungen begründen können. Auch nach Einschätzung des Deutschen Ethikrates müssen die Überlastung des Gesundheitssystems mit Nennung der Zahlen zur Hospitalisierung, Intensivbettenbelegung und zu den Todesfällen die entscheidenden Parameter sein, die die 7-Tage-Inzidenzen ersetzen.


Literatur

  1. ECDC Technical Report. COVID-19 in children and the role of School Settings in Transmission – First Update 23 December 2020.
  2. Honein MA, Barrios LC, Brooks JT. Data and Policy to Guide Opening Schools Safely to Limit the Spread of SARS-CoV-2 Infection. JAMA, published online January 26, 2021.
  3. https://www.who.int/news-room/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19-schools; https://www.who.int/publications/i/item/9789240017467, Checklist to support schools re-opening and preparation for COVID-19 resurgences or similar public health crises.
  4. Deutscher Ethikrat. Besondere Regeln für Geimpfte? Ad hoc Empfehlung. Berlin, 4 Februar 2021.
  5. https://www.gov.uk/government/news/covid-19-sars-cov-2-information-about-the-new-virus-variant
  6. Investigation of novel SARS-CoV-2 variant – Variant of Concern 202012/01 – Technical Briefing 3; Public Health England