Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) im Einvernehmen mit dem Berufsverband der Kind- und Jugendärzte e.V. (BVKJ)
SARS-CoV-2 und COVID-19 (Erkrankung an SARS-CoV-2) in der ambulanten Kinder- und Jugendmedizin
Stand 28.03.2020
INHALT
- Hintergrund
- Ziele dieser Stellungnahme
- Hinweise zur Übertragung von SARS-CoV-2
- COVID-19 (= klinisch manifeste Infektion mit SARS-CoV-2) bei Kindern
- Präventionsmaßnahmen
- Netzwerke bilden und Erfahrungen austauschen
- Literatur
Hintergrund
Niedergelassene Kinder- und Jugendmediziner*Innen gehören beim koordinierten medizinischen Vorgehen gegen die Pandemie durch das neue humane Coronavirus (SARS-CoV-2; die Erkrankung wird als COVID-19 bezeichnet) zur ersten Linie [1] eines Gesamtkonzeptes, das in den letzten Wochen in allen Bundesländern in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen [2] etabliert wurde. Nach der Schließung von Schulen und Kindertagesstätten, der Absage von öffentlichen Veranstaltungen und dem dringenden Appell an die Menschen, zuhause zu bleiben und engere Kontakte zu anderen Menschen außerhalb ihres familiären Umfeldes zu vermeiden, hat sich die Situation in den Praxen der niedergelassenen Kinder- und Jugendmediziner anscheinend etwas beruhigt. Kolleg*Innen berichten, dass die noch unmittelbar zuvor übliche, massive Inanspruchnahme der Praxen aufgrund von zum Teil milden und sicher selbstlimitierenden Atemwegsinfektionen nun nicht mehr stattfindet.
Ziele dieser Stellungnahme
Angesichts der
- zum Teil durchaus bedrohlichen Szenarien zum Fortgang der Pandemie [3]
- unbekannten Dauer der verschiedenen Erkrankungswellen vor Zulassung und Verfügbarkeit eines wirksamen Impfstoffs,
- Tatsache, dass es bis heute bei lebensbedrohlichen COVID-19 Verläufen keine gesicherte wirksame Möglichkeit der virostatischen medikamentösen Therapie gibt,
ist das Ziel dieser Stellungnahme der Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI; in enger Abstimmung mit dem Berufsverband der Kinder und Jugendärzte e.V., BVKJ), niedergelassene Kinder- und Jugendmediziner*Innen in praktischen Fragen des Managements der COVID-19 Pandemie zu unterstützen.
Nicht nur, aber insbesondere bei der Bewältigung einer solchen Krise ist es zum Schutz der uns anvertrauten Patienten von essentieller Bedeutung, dass der ambulante und der stationäre Sektor der medizinischen Versorgung eng zusammenarbeiten.
Dies geschieht in vielen regionalen Netzwerken und Initiativen bereits in vorbildhafter Weise. Es besteht kein Zweifel, dass in den beiden Sektoren der medizinischen Versorgung sehr unterschiedliche Voraussetzungen vorliegen:
- Das Patientenaufkommen in der Praxis geht weit über das der Notfallambulanzen in den Kliniken hinaus und ist nur begrenzt steuerbar.
- Viele Praxen wurden in den letzten Wochen nicht in ausreichendem Umfang mit persönlicher Schutzausrüstung (PPE) ausgestattet, deren Verfügbarkeit bundesweit kritisch limitiert
- Niedergelassene Kinder- und Jugendmediziner*Innen sind für den Schutz ihrer Praxismitarbeiter*Innen unmittelbar und persönlich verantwortlich und nehmen diese Verantwortung sehr ernst.
- Niedergelassene Kinder- und Jugendmediziner*Innen haben nicht in gleicher Weise wie Ärzt*innen in der Klinik unmittelbaren Kontakt zu bzw. Zugriff auf das Spezialwissen von Expert*Innen der (pädiatrischen) Infektiologie, der Virologie, der Krankenhaushygiene und Infektionsprävention und anderer Subspezialitäten.
- Kliniken bereiten sich personell, strukturell, baulich-funktionell und organisatorisch vorrangig darauf vor, eine sehr hohe (möglicherweise zu hohe) Zahl von Patienten mit intensivpflichtiger COVID-19 Erkrankung versorgen zu können
- Stationär tätige Kinder- und Jugendmediziner*Innen müssen stationär behandelte Patienten[1], die als besonders vulnerabel gelten, unbedingt vor einer nosokomialen Übertragung des SARS-CoV-2 schützen.
In Kinderkliniken sollen SARS-CoV-2-Infizierte Kinder (oder solche mit V.a. COVID-19) nur dann behandelt werden, wenn die medizinische Beurteilung des Einzelfalls zwingend für eine stationäre Aufnahme spricht. Der alleinige Nachweis des Virus stellt keine Indikation für eine ambulante Vorstellung oder eine stationäre Aufnahme dar.
Das ist den meisten niedergelassenen Kolleg*innen bekannt und bewusst. Gemeinsam organisierte und personalisierte „Fieberambulanzen“, die unmittelbar vor Kinderkliniken aufgestellt sind, können bei hohem Patientenaufkommen eine sehr gute Strategie sein.
Die hier dargestellten Überlegungen und Schlussfolgerungen gelten auf der Grundlage der bis heute (Versionsdatum 28.03.2020) verfügbaren Publikationen und können sich – insofern neue Erkenntnisse veröffentlicht werden – zeitnah ändern. Die federführende Fachgesellschaften (DGPI und BVKJ e.V.) werden diese Empfehlung kontinuierlich an neue Erkenntnisse anpassen. Die Empfehlungen beruhen nicht auf wissenschaftlich hochwertigen prospektiven Studien, weil solche bislang nicht vorliegen, sondern auf einem sorgfältig abgestimmten Expert*Innenkonsens.
Hinweise zur Übertragung von SARS-CoV-2
Nach heutigem Kenntnisstand erfolgt die Übertagung von SARS-CoV-2 vor allem durch Kontakt (Berührung mit den Händen, verunreinigte Gegenstände und Oberflächen, verunreinigte Medizinprodukte, wie z.B. Stethoskope) und über Tröpfchen aus den Atemwegen (ohne Mund-Nasen-Schutz im Abstand von bis zu 2 m bei hustenden Patient*Innen). Zu einem noch nicht genau bekannten Teil (ungeklärte Frage) kann eine Übertragung von SARS-CoV-2 wahrscheinlich auch durch Tröpfchenkerne (Aerosole) stattfinden, die länger und weiter in der Luft schweben [4-7]. Letzteres ist v.a. bei Maßnahmen zu erwarten, die Aerosole erzeugen (Absaugen, Inhalationstherapie, High-flow Sauerstoff Therapie über eine nasale Kanüle, Intubation, Bronchoskopie).
Die Übertragung über Tröpfchen (aus den Atemwegen) oder durch Kontakt (Hände, Gegenstände, Handkontaktflächen) werden als die mit Abstand bedeutsamsten Übertragungswege angesehen. Neben den Atemwegen sind wahrscheinlich auch die Konjunktiven eine Eintrittspforte für das Virus.
Bei in Stuhlproben mittels PCR nachgewiesener SARS-CoV-2 RNA ist derzeit unklar, ob es sich um replikationsfähige Viren handelt [8, 9]. Nach heutiger Einschätzung werden durch Blut keine vermehrungsfähigen SARS-CoV-2 übertragen [10].
Bei Kindern scheint sich SARS-CoV-2 v.a. in den Zielzellen der oberen Atemwegen zu replizieren [11]. Auch in den Atemwegssekreten von Kindern mit milder Symptomatik können SARS-CoV-2 in sehr hoher Konzentration vorhanden sein. Kinder können daher ganz entscheidende Überträger von SARS-CoV-2 auf andere Menschen sein [9]. Das RKI gibt die Dauer der Inkubationszeit mit 1 – 14 Tagen (im Mittel 5 Tage) an. Eine Infektiösität wird bei im Verlauf symptomatischen Patienten mit 1 – 2 Tage vor Erkrankungsbeginn bis etwa 8 Tage nach Erkrankungsbeginn angenommen (Modellierung verschiedener Szenarien)
COVID-19 (= klinisch manifeste Infektion mit SARS-CoV-2) bei Kindern
Nach den bisher verfügbaren Informationen sind schwere COVID-19 Verläufe (Atemnot, Tachydyspnoe, pulsoxymetrisch bei Raumluft gemessene Sauerstoffsättigung < 92%) im Kindes- und Jugendalter selten (< 5% der Infizierten) [12-20].
Es ist bislang unklar, ob Kinder und Jugendliche mit chronischer Grunderkrankung ein erhöhtes Risiko für einen komplizierten Erkrankungsverlauf haben, wie wir das z.B. von der Influenza und von Infektionen durch andere Atemwegsviren kennen.
Die SARS-CoV-2 Infektion kann bei Kindern klinisch nicht von anderen Atemweginfektionen unterschieden werden und auch ansonsten gesunde oder milde erkrankte Kinder können SARS-CoV-2 Überträger sein. Grundsätzlich wurde in vielen bisher publizierten Fällen die Computertomographie sehr extensiv zur Diagnose bzw. zum Ausschluss einer Pneumonie eingesetzt. Dies betrifft auch Kinder mit milder Symptomatik, bei denen hier in Deutschland berechtigterweise über die Notwendigkeit eines Röntgenbildes diskutiert würde [9, 19, 21-27]. Eine computertomographische Diagnostik des Thorax sollte nur ausgewählten, kritischen Indikationen (kein Routineverfahren!) vorbehalten werden, wenn dies für die Behandlung eine wesentliche Konsequenz hat.
Präventionsmaßnahmen
Im direkten Kontakt mit SARS-CoV-2 positiven Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen werden in der Klinik auf Seiten des Behandlungsteams Hygienemaßnahmen eingesetzt, die deutlich über eine gute Basishygiene hinausgehen. Diese „Kompletteinkleidung“ mit
- Schutzbrille oder Face-Shield, Kopfhaube, Flüssigkeits-undurchlässigem Schutzkittel mit langen Ärmeln und Bündchen, Einmalhandschuhen mit langen Stulpen, die über den Bündchen der Kittels getragen werden, FFP2 (ggf. auch FFP3) Atemschutzmaske und ggf. auch desinfizierbaren OP-Schuhen
würde bei Patient*Innen und Eltern in der Praxis eine Panik auslösen und das Arbeiten in der Praxis unmöglich machen. Daher und vor dem Hintergrund der nur limitiert verfügbaren PPE werden hier einige Möglichkeiten vorgestellt, das Infektionsrisiko in der Praxis zu reduzieren [2, 28].
Die SARS-CoV-2 Pandemie setzt die Grundprinzipien einer guten Basishygiene
nicht außer Kraft [2]. Das gilt insbesondere für die hygienische Händedesinfektion.
Die Händedesinfektion aller Patienten und Begleitpersonen bei Betreten der Praxis ist wünschenswert, jedoch aufgrund des sehr hohen Verbrauchs an Händedesinfektionsmittel nicht möglich, insofern hier weiterhin Lieferengpässe bestehen. Gründliches Händewaschen mit Wasser und Seife (20 sec.) stellt eine gute Alternative dar.
Strukturell organisatorische Maßnahmen
- Es wäre ideal, in Abhängigkeit vom tatsächlichen Aufkommen infektiöser Patent*Innen, diese separat einzubestellen. Im Notfall geht dies nicht und auch, wenn in wenigen Wochen die Viruszirkulation in der Bevölkerung stark zunimmt und oligo-oder asymptomatische Kinder das SARS-CoV-2 übertragen, stößt dieser Vorschlag schnell an seine Grenzen.
- Praxisgemeinschaften können in Abhängigkeit der vorhandenen Räumlichkeiten versuchen, „saubere von unsauberen“ Bereichen / Räumlichkeiten voneinander zu trennen und die Patienten je nach Symptomatik und Vorstellungsgrund entsprechend lenken.
- Es kann versucht werden sich vor allem auf die Abschirmung besonders vulnerabler Patient*Innen zu konzentrieren: eigene (abgeschirmte) Sprechstunden und Wartebereiche, Hausbesuche, Videokonsile etc.
Distanzierung
- Bei der Anmeldung sollen die Patienten (mit ihrer Begleitperson [3]) untereinander möglichst mindestens 1,5 m Abstand halten (Markierungen auf dem Fußboden und Hinweisschilder / Plakate hierzu helfen weiter).
- Patienten können ggf. im Auto oder vor der Praxis warten (telefonisch aufgerufen werden).
- Mitarbeiter*Innen sollten sich nach Möglichkeit nicht direktem Anhusten aussetzen
(beim Abhören/Otoskopie eher seitlich bzw. hinter dem Patienten stehen) - Die körperliche Untersuchung sollte bei (Infekt-)Patienten auf das medizinisch nötige beschränkt werden. Keine routinemäßige Inspektion des Rachens bei jedem Patienten.
- Nicht zwingend nötige Abstriche des Rachens / der Tonsillen sollten vermieden werden
(dies geht in der aktuellen Situation zu Ungunsten des GAS Schnelltests) - Praxismitarbeiter*Innen können – so weit möglich – auch im Untersuchungszimmer
Abstand zum Patienten halten. - Mitarbeiterinnen sollten an der Anmeldung durch Abstandsregelung, Schutzscheiben etc. geschützt werden (Krankenkassenkarte ggf. durch Eltern ins Lesegerät stecken lassen) [28]
Schutzkleidung
Im direkten Kontakt mit Patienten, die eine Atemwegsinfektion durch SARS-CoV-2 haben, bietet eine FFP2 Maske in Kombination mit einer Schutzbrille den bestmögliche Schutz.
Wenn keine FFP2 Maske verfügbar ist, reduziert ein Mund-Nasenschutz (nach DIN EN 14683) das Übertragungsrisiko (Tröpfcheninfektion). Wenn kein MNS nach DIN EN 14683 verfügbar ist, können genähte MNS aus dreilagigem Baumwollstoff (bei 60°C waschbar) eingesetzt werden. Tatsächlich gibt es in einigen Städten und Bundesländern und auch in Kliniken bereits jetzt Initiativen zur Bereitstellung handgenähter MNS. Diese sind signifikant weniger wirksam als ein chirurgischer MNS und letzterer ist weniger wirksam als eine FFP2 oder FFP 3 Maske. Natürlich sind handgenähte MNS keine Medizinprodukte und ihr Nutzen ist nicht validiert [29]. Sie sind wahrscheinlich besser als der ungeschützte Kontakt, wenn sie nicht zu lange getragen werden und dabei durchfeuchten. Der Nutzen des kontinuierlichen Tragens eine MNS ist nicht erwiesen und bewirkt durch Manipulationen (Positionskorrektur, Ansetzen zum Essen und Trinken) das Risiko einer Inokulation von Erregern, die zwischenzeitlich die Maske von außen kontaminiert haben. Für Patienten zuhause ist ein solcher handgenähter MNS eine gute Alternative.
Desinfektion
SARS-CoV-2 können auf unbelebten Oberflächen über Stunden bis Tage infektiös bleiben. Als umhüllte Viren sind sie jedoch gegenüber allen handelsüblichen Desinfektionsmitteln der Kategorie „begrenzt viruzid“ empfindlich [4]. Die Verwendung geeigneter Tücher aus einem Tuchspender ist hier die beste Lösung (Problem: Verfügbarkeit und Kosten). Solche „Wipes“ gibt es von verschiedenen Herstellern. Zur Desinfektion der Stethoskop-Membran kann Händedesinfektionsmittel verwendet werden. Für die Flächendesinfektion (nach Ende der Sprechstunde!) eignet sich außerdem Haushaltsbleiche (Natriumhypochlorid in einer Konzentration von 0,05% NaHCl = 0,05 g/100 ml = 50 mg/100 ml = 0,5 g/L) [4].
Netzwerke bilden und Erfahrungen austauschen
Die an dieser Stellungnahme beteiligten Fachgesellschaften fordern alle Kinder- und Jugendmediziner nachdrücklich auf, sich Sektor-übergreifend in regionalen pädiatrisch-infektiologischen Netzwerken zu organisieren, die dazu dienen, Informationen und Erfahrungen niedrigschwellig auszutauschen und das gemeinsame, koordinierten medizinischen Vorgehen gegen die SARS-CoV-2 Pandemie abzustimmen und schrittweise weiter zu verbessern.
Zu Impfungen und Früherkennungsuntersuchungen gibt es bereits eine aktuelle Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (Stand 22.3.2020)
Koordinatoren
Prof. Dr. Johannes Hübner, Prof. Dr. Markus Knuf, Prof. Dr. Reinhard Berner, Dr. Stefan Trapp (Mandatsträger des BVKJ e.V. im DGPI Vorstand), Roland Tillmann, Prof. Dr. med. Arne Simon
mit ganz herzlichem Dank an alle, die sich an der Erstellung aktiv beteiligt haben.
Literatur
- Spahn J: Brief des Ministers für Gesundheit an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. 2020, 20. März 2020.
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): Coronavirus: Informationen für Ärztinnen, Ärzte und Praxispersonal. https://wwwkbvde/html/coronavirusphp (letzter Zugriff am 22.03.2020) 2020.
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- [1] Elektive stationäre Aufnahmen finden bereits nicht mehr statt und die Termine in den Spezialambulanzen sind soweit irgend möglich auf Notfälle begrenzt.
- [2] Das gründliche Händewaschen mit Seife für 20 Sekunden ist ebenfalls gegen COVID-19 wirksam.
- [3] Grundsätzlich nur eine Begleitperson.
- [4] Cave: Feste Haushaltshandschuhe anziehen, nicht mit den Augen in Kontakt bringen, nicht für Aluminiumoberflächen geeignet. Einwirkzeit 1h (am Ende des Praxisalltags). Den Raum gut lüften.