Dr. Fabian Schumacher, Pädiater, pädiatrischer Hämato-Onkologe, Immunologe und Infektiologe, der seit Jahren an der Universitätskinderklinik in Brescia in der Lombardei arbeitet, teilt seine ergreifenden Erfahrungen mit dem COVID-19 Ausbruch in Norditalien. Seien wir vorbereitet!


Liebe DGPI-Mitglieder, liebe Freunde,

Angestachelt von einigen Freunden möchte ich kurz aus dem Zentrum der Corona-Epidemie in Brescia berichten, zum einen um eine Rückmeldung mit Tips zu generieren und zum zweiten um eine
Vorstellung zu geben, was wohl auch auf Deutschland zukommen wird, da sich der Verlauf der Infektion zwischen Italien und Deutschland mit 10 Tagen Abstand (von 200 auf >10.000 Fälle in 14 Tagen) zu wiederholen scheint.

  • So sieht die Situation derzeit an der Uniklinik in Brescia, Italien aus:
  • Im Krankenhaus allgemein separate Eingänge für Personal und Patienten.
  • Vor der Erwachsenen Not-Ambulanz steht ein Triagezelt
  • Vor der Kinderambulanz ist ein Triagezelt aus baulichen Gründen nicht möglich, alle Kinder, die aufgenommen werden müssen, werden getestet, alle die nach Hause geschickt werden nicht.

Für die positiven Kinder haben wir eine eigene Kinder COVID-Station eingerichtet: pädiatrische HNO, Orthopädie und Kiefer-Chirurgie sind in die Chirurgie gezogen. Auch dort sind alle elektiven OPs abgesagt, dadurch sind Beatmungsgeräte aus den OPs befreit. Die COVID-Station wird mit eigenem ärztlichen Personal im 3-Schichtsystem betrieben (=90 Dienste mehr im  Monat!), überwiegend Personal aus den runtergefahrenen Ambulanzen und von den ausgedünnten Stationen. Dies Personal trägt volle Schutzkleidung.

Dazu kommt noch das Brescias zweites Kinderkrankenhaus ganz für Erwachsene COVIDs umgewidmet wurde, wir also alle Kinder von dort übernehmen.

Dafür sind (Ausgangssperre und geschlossenen Einrichtungen sei Dank!) die normalen Kinderwehwehchen, von Lungenentzündungen über Asthma bis zu Traumata auch deutlich zurück-gegangen – insgesamt in der Notaufnahme bei uns ein Rückgang um >50%.

Insgesamt haben wir wenig positive Kinder bisher (ca. 300 in ganz Italien), bei uns ca. 10, davon nur eines mit vorbestehenden Herzproblemen amCPAP, die anderen haben nur zusätzlichen Sauerstoff benötigt. Deshalb und um die Erwachsenen-Kollegen zu entlasten, nehmen wir auf unsere pädiatrische COVID-Station auch erkrankte junge Erwachsene auf (mit denen wir uns besser auskennen als mit den typischen schweren COVID-Patienten höheren Alters).

Personaltests erfolgen nur bei (auch schwachen) Symptomen, falls positiv: Quarantäne, aber Retestung schon nach 1 Woche, falls negativ in 24-48h 2. Test und dann wieder dienstfähig. Keine Tests und keine Quarantäne für Personal mit Kontaktanamnese (ausser positiv innerhalb der Familie, dann Testung). Tatsache ist, dass wir auch so schon unter Personalmangel leiden, weil es infiziert (und teilweise intubiert und in Lebensgefahr) ist (verständlicherweise ist die Quote bei uns höher als in der Normalbevölkerung).

Die Onkologie testet alle Kinder, die auf Station kommen wenn möglich am Tag vorher (wohl demnächst auch telefonische Triage am Tag vorher), Fragebogen werden am separaten Eingang ausgeteilt, alle Eltern und Personal tragen stets Masken (teils wieder verwendet, teils selbstgenäht). Wenn jeder stets eine Maske trägt, sind alle geschützt! Nur ein Erwachsener pro Kind, Wartezimmer ausgedünnt, nur 2 Stühle in jeder Ecke, keine Spielsachen. Alle nicht dringenden Kontrollen werden verschoben. Schwierig ist für uns in der Onkologie, daß wégen Flugverbot z.Z. auch keinKnochenmark für Transplantationen eingeflogen werden kann. Hier müssen wir auf 2.Wahl umsteigen (haploidente Transplantation oder zum Teil weniger geeignete nationale Spender auswählen, testen – auch auf Corona – und hoffen), was auch für die Patienten und ihre Familien sehr belastend ist.

Die Techniker der Radiotherapie sind (im Moment) komplett ausgefallen… Die Verfügbarkeit
von Blutkonserven wird langsam (trotz 0 elektiver OPs) zu einem neuen Problem.

Keine Clowns, Freiwilligen, Lehrer etc..

Der nächste Schritt wird wahrscheinlich der Rückzug der Onkologie auf die KMT-Station samt Tagesklinik sein, um auch diese Station den Erwachsenen COVIDs zu überlassen. Ins Wartezimmer kommen dann die Liegen für die Transfusionen, ein Untersuchungszimmer wird zum post-Sedierungsraum, Warten im Freien oder in einem naheliegenden Hörsaal…

Zusätzlich überlegen wir die Onkokinder von Bergamo zu übernehmen… (Dort 3 Kinder unter Chemotherapie positiv, aber bisher (!) keine schweren Verläufe.)

Bei den Erwachsenen ist die Situation wirklich dramatisch: Viele Stationen wurden zu COVID-Stationen, doch das reicht alles nicht, also werden überall neue O2-Rohre verlegt und Mauern entfernt, um Stationen zu vergrössern, um auch aus Küche und Umkleiden noch Patientenzimmer zu
machen. Die Beatmungsgeräte wurden aus den unbenutzten OPs geholt, um mehr Patienten beatmen zu können. Und auch die Erwachsenen arbeiten mit den anderen Kliniken zusammen, so das es in der Stadt nur noch eine funktionierende Neurochirurgie oder Cardiochirurgie etc gibt, alles um
Platz für mehr Patienten zu schaffen.

(Man spricht von einem Feldlazarett auf dem Messegelände mit 500 Betten….). Personal fehlt natürlich auch, Ärzte und Schwestern noch in Ausbildung werden voll eingesetzt und Pensionäre zurück in den Dienst geholt sowie Militärärzte eingezogen. Ferien sind eh für alle gestrichen. Auch einige unserer Kollegen aus der Pädiatrie machen zusätzliche Dienste (z.B. nach dem Nachtdienst), bei den nicht beatmungspflichtigen COVID-Patienten oder kümmern sich um Dokumentation und Bürokratie. Auch die Universität steht still – kaum Zeit für virtuelle Vorlesungen etc..

Besucher für Erwachsene dürfen gar nicht mehr ins Krankenhaus kommen, können nur Sachen für ihre Lieben an der Pforte abgeben…

Bereitet Euch also gut vor, es kommt schlimmer und schneller als ihr denkt!

Wie man hier sagt: Andrà tutto bene!

Ciao

Fabian

Dr. R.F. Schumacher
Onco-Ematologia Pediatrica
Presidio Ospedale dei Bambini
ASST Spedali Civili
Brescia
Italia