Schätzungsweise 10% der erwachsenen Bevölkerung und 6% der Kinder (bzw. der Eltern) geben anamnestisch eine „Penicillinallergie“ an, wobei die tatsächliche Prävalenz echter Allergien erheblich niedriger ist. Dieses seit vielen Jahren beobachtbares Phänomen führt dazu, dass Patient:innen von der Anwendung von Standard-Antibiotika ausgeschlossen werden, was zum Ausweichen auf Reserve-Antibiotika führt.
Das Label einer „Antibiotikaallergie“ schränkt den Einsatz spezifisch wirksamer Antibiotika ein und trägt zur Resistenzdynamik bei. Die ungesicherte Annahme einer „Penicillinallergie“ kann dazu führen, dass Patient:innen von der leitliniengerechten Anwendung von Betalaktamantibiotika ausgeschlossen werden und so Zweit- oder Drittlinientherapien zur Anwendung kommen.
Die vermeintliche Diagnose einer Antibiotikaallergie führt häufig zum unnötigen Einsatz von Reservetherapien mit potenziell schlechteren klinischen Ergebnissen. Von den 10% der als Penicillin-allergisch gekennzeichneten Patient:innen, hat die Mehrheit nie eine echte allergische Reaktion erlebt, sondern andere unerwünschte Reaktionen wie Magen-Darm-Beschwerden [1].
Das „Label“ einer „Penicillinallergie“ ist mit einer längeren Krankenhausverweildauer, höheren Behandlungskosten und schlechterem klinischen Outcome assoziiert [2–6]. Für Kinder mit Pneumonie geht dies darüber hinaus auch mit einem höheren Risiko von respiratorischem Versagen und der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung einher [7]. Daher ist es für die Patient:innen entscheidend, die Diagnose einer Betalaktamallergie überprüfen zu lassen und ggf. auszuschließen (Delabeling), um wieder für gezielte antibiotische Erstlinientherapie in Frage zu kommen. Es ist darüber hinaus auch unter den Gesichtspunkten Bevölkerungsgesundheit und Gesundheitsökonomie geboten.
Standardisiertes Delabeling von Antibiotikaallergien:
Um den Einsatz von Zweitlinientherapien zu vermindern, ist ein standardisiertes „Delabeling“ von angenommenen „Antibiotikaallergien“ erforderlich. Das Delabeling von Antibiotikaallergien erfolgt nach einem standardisierten, risikostratifizierten Vorgehen, das je nach Reaktionstyp (Soforttyp oder Spättyp) und Schweregrad der ursprünglichen Reaktion unterschiedlich gestaltet wird. Bei Soforttypreaktionen (Typ I, IgE-vermittelt), die innerhalb weniger Stunden nach Antibiotikagabe mit Symptomen wie Urtikaria, Angioödem oder Anaphylaxie auftreten, ist ein stufenweises Vorgehen abhängig von der Risikostratifizierung erforderlich [1]. Bei Spättypreaktionen (Typ IV, T-Zell-vermittelt), die nach Tagen auftreten und sich als Hautausschläge ohne schwere systemische Reaktionen (unkomplizierte makulopapulöse Exantheme) manifestieren, ist ein 3-tägiges ambulantes Provokationsschema möglich [8]. Die praktische Umsetzung umfasst eine gründliche Allergieanamnese, Patienteneinwilligung, überwachte Testdurchführung, Dokumentation und Patientenaufklärung. Diese Strategien verbessern nicht nur die individuelle Versorgung, sondern fördern auch den rationalen Antibiotikaeinsatz im Rahmen des Antibiotic Stewardship.
Die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPAU) hat bei anamnestisch verzögerter Betalaktamantibiotikareaktion im Kindes- und Jugendalter in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) und dem Ärzteverband deutscher Allergologen (ÄDA) ein konsentiertes Standardvorgehen publiziert [8], für das die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) ihre Unterstützung ausdrücken möchte. Neben den gesundheitspolitischen und ökonomischen Dimensionen, sowie der patientenindividuellen Konsequenz einer fälschlicherweise angenommenen Allergie, kann eine breite Implementierung von Delabelingstrategien langfristig auch wirksam zum rationalen Umgang mit Antibiotika beitragen und ist damit ein Kernthema des Antibiotic Stewardship (ABS).
Um ein systematisches Vorgehen in die breite Anwendung zu bringen, ist die Sicherung einer suffizienten Finanzierung des Delabelings in der ambulanten Versorgung eine politische Notwendigkeit, für die wir als wissenschaftliche Fachgesellschaften Stellung beziehen möchten. Die aktuelle Vergütungssituation berücksichtigt weder den erheblichen Zeitaufwand für die qualifizierte Anamnese, die mehrstündige Überwachung und die notwendige Nachsorge, noch die Vorhaltekosten für Notfallequipment und qualifiziertes Personal. Angesichts der erheblichen gesundheitsökonomischen Vorteile eines erfolgreichen Delabelings – Reduktion von Reservetherapien, Verkürzung von Krankenhausaufenthalten, Verminderung von Komplikationen und Resistenzentwicklungen – ist eine angemessene Vergütung dieser medizinischen Maßnahme dringend erforderlich und volkswirtschaftlich sinnvoll.
Führen Sie schon ambulantes Delabeln bei makulopapulösem Exanthem nach Betalaktamantibiotikagabe durch? Oder bieten Sie Delabeln noch nicht an? Bitte teilen Sie Ihre Erfahrungen in einer kurzen Umfrage (5-7 Minuten) unter: https://ww3.unipark.de/uc/Bode_KK/a430/
[1] Brockow K, Pfützner W, Wedi B, Wurpts G, Trautmann A, Kreft B, et al. Recommendations on how to proceed in case of suspected allergy to penicillin/β-lactam antibiotics. Allergol Select 2025;9:28–39. https://doi.org/10.5414/ALX02531E.
[2] Charneski L, Deshpande G, Smith SW. Impact of an antimicrobial allergy label in the medical record on clinical outcomes in hospitalized patients. Pharmacotherapy: The Journal of Human Pharmacology and Drug Therapy 2011;31:742–7. https://doi.org/10.1592/phco.31.8.742.
[3] Hui-Chih Wu J, Langford BJ, Schwartz KL, Zvonar R, Raybardhan S, Leung V, et al. Potential negative effects of antimicrobial allergy labelling on patient care: A systematic review. CJHP 2018;71. https://doi.org/10.4212/cjhp.v71i1.1726.
[4] Krah NM, Jones TW, Lake J, Hersh AL. The impact of antibiotic allergy labels on antibiotic exposure, clinical outcomes, and healthcare costs: A systematic review. Infect Control Hosp Epidemiol 2021;42:530–48. https://doi.org/10.1017/ice.2020.1229.
[5] Lucas M, Arnold A, Sommerfield A, Trevenen M, Braconnier L, Schilling A, et al. Antibiotic allergy labels in children are associated with adverse clinical outcomes. The Journal of Allergy and Clinical Immunology: In Practice 2019;7:975–82. https://doi.org/10.1016/j.jaip.2018.09.003.
[6] MacFadden DR, LaDelfa A, Leen J, Gold WL, Daneman N, Weber E, et al. Impact of reported beta-lactam allergy on inpatient outcomes: A multicenter prospective cohort study. Clinical Infectious Diseases 2016;63:904–10. https://doi.org/10.1093/cid/ciw462.
[7] Kaminsky LW, Al-Obaydi S, Hussein RH, Horwitz AA, Al-Shaikhly T. Impact of penicillin allergy label on clinical outcomes of pneumonia in children. The Journal of Allergy and Clinical Immunology In Practice 2023;11:1899. https://doi.org/10.1016/j.jaip.2023.03.018.
[8] Neustädter I, Blatt S, Wurpts G, Dickel H, Walter C, Aberer W, et al. “Delabeling” by direct provocation testing in children and adolescents with a suspected history of a delayed reaction to β-lactam antibiotics: Consensus paper of Gesellschaft für pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPAU), Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), and Ärzteverband deutscher Allergologen (ÄDA). Allergologie Select 2024;8:206. https://doi.org/10.5414/ALX02480E.