Gemeinsame Stellungnahme von DGPI und Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) zum aktuellen Umgang mit SARS-CoV-2, dem Erreger von Coronavirus disease-19 (COVID-19)
Stand 21.3.2020
Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 hat seit Beginn des Jahres die Weltöffentlichkeit beunruhigt und zu verschiedenen Maßnahmen geführt, die der Eindämmung oder Verzögerung der Ausbreitung dieses Erregers dienen sollten. Das Virus verbreitet sich in Deutschland derzeit unkontrolliert. Insofern werden diebisher verordneten Maßnahmen engmaschig von den Gesundheitsbehörden überprüft und ggf. an die aktuelle Situation angepasst. Hierfür sind einerseits das Robert Koch-Institut, andererseits die Gesundheitsbehörden der Bundesländer verantwortlich.
Obwohl vieles zu diesem neuen Erreger noch unbekannt ist, lassen sich einige Aussagen treffen.
- Das umhüllte Virus ist sehr infektiös (Übertragungen können auch von Menschen mit milden
Symptomen ausgehen). - SARS-CoV-2 wird durch alkoholische Händedesinfektionsmittel und wahrscheinlich auch durch
Händewaschen mit Seife abgetötet. - Das Virus wird im Wesentlichen über Tröpfchen und Aerosole aus den Atemwegen und über die
Hände übertragen. - Schutz für das medizinische Personal bietet zusätzlich zur hygienischen Händedesinfektion – eine aerosoldichte Atemschutzmaske (FFP2) und eine Schutzbrille (neben Schutzkitteln und Handschuhen). Ein großes Problem ist die mangelnde Verfügbarkeit von Schutzmaterial. Das RKI hat Empfehlungen zu einem ressourcenschonenden Umgang mit Masken und Schutzausrüstung zusammengestellt 1.
- Nach bisherigen Erkenntnissen sind Kinder bei Erkrankung weit weniger gefährdet, als Erwachsene. Wie bei diesen besteht bei Kindern wahrscheinlich ein erhöhtes Risiko für einen komplizierten Verlauf bei chronischen Erkrankungen des Herzens, der Lunge, bei Mehrfachbehinderung und Heimbetreuung.
- Kinder und Jugendliche mit Minderung der Infektionsabwehr bei immunsuppressiver Therapie oder Immundefekt sollten sich bei Fragen telefonisch an das behandelnde Zentrum wenden.
- Hinweise auf eine Gefährdung durch eine Therapie von COVID-19 Patienten mit Ibuprofen beruhen bisher ausschließlich auf pathophysiologischen Überlegungen und sind durch keinerlei klinische Daten belegt. Deshalb kann derzeit keine Empfehlung hinsichtlich Vermeidung von Ibuprofen oder präferentielle Verwendung von Paracetamol ausgesprochen werden. Eine antipyretische Therapie sollte bei unteren Atemwegsinfektionen generell vermieden werden.
Die Indikationen für eine Testung auf SARS-CoV-2 werden an die aktuelle Ausbreitungssituation angepasst 2. Aktuell sollen Kinder, die mit einer schwerwiegenden Erkrankung der Atemwege stationär aufgenommen werden müssen, auf das Virus getestet werden „Patienten mit klinischen oder radiologischen Hinweisen auf eine virale Pneumonie ohne Alternativdiagnose + ohne erfassbares Expositionsrisiko“ 3). Bei Kindern, die ambulant behandelt werden, erfolgt eine gezielte Testung nach Maßgabe des zuständigen Gesundheitsamtes oder auf dessen Veranlassung.
Das Vorgehen bei einem Verdacht auf SARS-CoV-2-Infektion ist vom Robert Koch-Institut festgelegt worden 3. Sowohl bei einem begründeten Verdachtsfall (Kontakt zu bestätigtem COVID-19 Fall oder Aufenthalt in einem Risikogebiet), als auch bei einem Fall unter differenzialdiagnostischer Abklärungist ein ambulantes Management unter bestimmten Voraussetzungen empfehlenswert: leichter Erkrankungsgrad, Fehlen von Risikofaktoren, Compliance bezüglich der Verhaltensempfehlungen und die Möglichkeit einer jederzeitigen Wiedervorstellung bei Verschlechterung.
Allgemeine Maßnahmen zum Schutz vor Infektion oder Erkrankung bestehen
- im grundsätzlichen Verzicht auf das Händeschütteln
- Händewaschen mit Seife oder Händedesinfektion über 20 bis 30 sec.
- Husten in die Ellenbeuge oder in ein Papiertaschentuch, das danach sofort entsorgt wird
- Einhalten eines sozialen Abstandes von 1 Meter
- Meiden von öffentlichen Veranstaltungen mit vielen Menschen auf engem Raum.
Die in Deutschland meist großzügige Inanspruchnahme von Arztpraxen oder Klinikambulanzen bei banalen Atemwegsinfektionen birgt die Gefahr von Übertragungen von SARS-CoV-2 und auch von anderen Viren. Nach wie vor sind derzeit die bekannten Viruserkrankungen (Influenza, Rhinoviren, RSV, humanes Metapneumovirus, Parainfluenza) weitaus häufiger als SARS-CoV-2-Infektionen. Besuche in der Praxis sollten auf das notwendige Maß beschränkt werden. Bei höheren Erkrankungszahlen müssen alle nicht notwendigen Maßnahmen verschoben werden. Wichtig ist in dieser Phase die Aufrechterhaltung des normalen Impfangebotes, ein rasches Nachholen von ausstehenden oder fehlenden Impfungen, insbesondere der Pertussis- und Masernimpfung, und die Durchführung von Indikationsimpfungen (Pneumokokken, Influenza) nach STIKO.
Ein Arztbesuch sollte bei schweren Atemwegsinfektionen (z.B. Fieber mit angestrengter, beschleunigter Atmung, schlechter Allgemeinzustand, unzureichende Flüssigkeitszufuhr) erfolgen. Eine Erregersuche, z.B. mit verfügbaren Schnelltesten auf RSV oder Influenza, ist bei Aufnahme in eine Klinik wegen der Isolations und Kohortierungsmaßnahmen hilfreich.
Patienten mit Atemwegsinfektionen (und ihre Begleitpersonen, falls diese auch Symptome haben) sollten vorher telefonisch Kontakt aufnehmen und bereits bei Betreten der Praxis (oder der Notfallambulanz) die Hände desinfizieren, soweit möglich einen Mund-Nasen-Schutz anlegen und separiert werden. Praxis- und Klinikpersonal sollten sich durch Tragen von Mund-Nasen-Schutz bei allen Patientenkontakten schützen.
In der Klinik müssen Patienten mit COVID-19 in einem Einzelzimmer (wenn möglich mit einer Schleuse und mit eigenem Sanitärbereich) oder kohortiert untergebracht werden. Die Kliniken müssen hierfür eigene Notfallpläne vorhalten (analog zu denen bei einer sehr schweren Influenzasaison). Bei dem in vielen Kinderkliniken dramatischen Mangel an Pflegepersonal ist ein solches Krisenmanagement nur möglich, wenn nicht zwingend erforderliche stationäre Aufnahmen (z.B. planbare Operationen ohne Notfallindikation) verschoben werden.
Innerhalb einer definierten Region ist es in höchstem Maße sinnvoll, dass Kinder- und Jugendkliniken und niedergelassene Kinder- und Jugendmediziner ihr Vorgehen gemeinsam mit den lokalen Gesundheitsbehörden abstimmen. Das gilt z.B. auch für die ambulante Versorgung (klinische Kontrolle) von Kindern, die mit ihren Familien zuhause in Isolierung oder Quarantäne bleiben müssen.
— Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Erster Vorsitzender der DGPI
— Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz, Generalsekretär der DAKJ